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Das EU-Agrarregime und Europas Ernährungssouveränität

6. Juni 2024
Von Thomas Oysmüller

Ein frisch veröffentlichter Bericht beschreibt auf über 50 Seiten, wie die EU den Kleinbauern schadet und langfristig die Ernährungssicherheit in Europa bedroht.

Die EU wurde in den letzten Monaten massenhaft von Bauernprotesten überzogen. Zwar sind sie häufig nationalen Politiken getrieben (Agrardiesel in Deutschland, Verringerung der Stickstoffemmission in Holland, allerdings gibt es einen gemeinsamen Nenner: Der Widerstand gegen die wirtschaftlichen und bürokratischen Belastungen durch die Klimapolitik der EU, besonders dem Green Deal.

Landwirtschaft, Bauern und die EU-Klimapläne sind demnach ein besonders heißes politisches Eisen. Umso wichtiger, dass die Öffentlichkeit den größeren Zusammenhang dieser Proteste versteht – und dass die Landwirte diese erklären, um die Unterstützung der Öffentlichkeit zu erhalten“, schreibt Journalist Thomas Fazi. Er hat für den Think Tank MCC Brüssel deshalb den Bericht verfasst. Fazi:

„Ein uninformierter Beobachter könnte denken, dass es den europäischen Landwirten gut ging, bis die „grüne“ Agenda der EU kam und die Party ruinierte – oder schlimmer noch, dass die Landwirte diese Politik aus ideologischen Gründen ablehnen. Nichts könnte weiter von der Wahrheit entfernt sein. In Wirklichkeit haben kleine und mittlere Landwirte seit Jahren mit steigenden Kosten, Überregulierung, den Praktiken von Unternehmenskartellen entlang der gesamten Lieferkette und vor allem mit dem unlauteren Wettbewerb zu kämpfen, der durch das Freihandelsregime der EU gefördert wird. In der Tat sind in der gesamten EU landwirtschaftliche Betriebe in alarmierendem Tempo verschwunden.“

Die Untersuchung von Fazi macht sechs Hauptprobleme innerhalb der EU-Agrarwirtschaft aus. Auf seinem Blog hat er diese zusammengefasst:
( https://www.thomasfazi.com/p/reclaiming-food-sovereignty-an-alternative?utm_source=post-email-title&publication_id=560592&post_id=145368183&utm_campaign=email-post-title&isFreemail=true&r=18rnaa&triedRedirect=true&utm_medium=email )

Das EU-Paradoxon: ein florierender Agrarsektor, der die Landwirte im Stich lässt. Die EU ist eine der führenden Agrarmächte der Welt mit einer Gesamtproduktion von über 500 Milliarden Euro pro Jahr. Die Einkommen in der Landwirtschaft insgesamt steigen seit Jahren. Trotzdem haben kleine und mittlere Betriebe zu kämpfen: Die meisten landwirtschaftlichen Betriebe in Europa sind nicht in der Lage, ihren Bewirtschaftern – oft Familien – ein angemessenes Einkommen zu sichern.

Konsolidierung und Konzentration: In den letzten zwei Jahrzehnten hat der Agrarsektor der EU einen massiven Konzentrations- und Konsolidierungsprozess durchlaufen, bei dem die Großbetriebe den Markt zunehmend beherrschen. In den letzten 20 Jahren sind in der EU fünf Millionen landwirtschaftliche Betriebe verschwunden, das sind durchschnittlich 800 Betriebe pro Tag. Dies hat zu einem dramatischen Rückgang der kleinen landwirtschaftlichen Betriebe geführt, die zahlreiche wirtschaftliche und gesellschaftliche Vorteile bieten. Die Konsolidierung hat zu einer Steigerung der wirtschaftlichen Produktivität und Effizienz geführt, aber auch die Lebensgrundlage der Kleinbauern beeinträchtigt und den Niedergang der ländlichen Gemeinden beschleunigt. Vielleicht noch entscheidender ist, dass dieser Strukturwandel, wie dieser Bericht zeigt, langfristig eine Bedrohung für die europäische Ernährungssicherheit darstellt.

Die Produktion von landwirtschaftlichen Primärerzeugnissen hat keine Priorität mehr: Die Konzentration des Eigentums an landwirtschaftlichen Betrieben ging mit einer Verlagerung weg von der Produktion geringwertiger, aber wesentlicher landwirtschaftlicher Grunderzeugnisse hin zur Produktion hochwertiger, aber nicht wesentlicher verarbeiteter Agrarerzeugnisse einher. Hierfür gibt es ideologische und wirtschaftliche Gründe. Die Übernahme der grünen Ideologie durch die EU bedeutet, dass die landwirtschaftliche Produktion als zweitgrößter Verursacher von Treibhausgasemissionen allmählich zu einem Tabu in Europa geworden ist. Aus Sicht der großen Unternehmen gilt die Produktion von Grundnahrungsmitteln außerdem als weniger rentabel als die Herstellung von verarbeiteten Lebensmitteln.

Wachsende Importabhängigkeit: Dank der ursprünglichen Ausrichtung der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) auf die Ernährungssouveränität ist die EU nach wie vor weitgehend autark bei vielen primären Agrarrohstoffen. Infolge der derzeitigen Politik ist der Selbstversorgungsgrad bei vielen Primärerzeugnissen in den letzten zwei Jahrzehnten jedoch gesunken. Gleichzeitig ist sie bei wichtigen Inputs wie Ölsaaten und Eiweißpflanzen weiterhin stark von Einfuhren abhängig. Diese wachsende Importabhängigkeit stellt ein Risiko für die europäische Ernährungssicherheit dar, insbesondere angesichts der Volatilität der globalen Märkte und der geopolitischen Lage.

Die Freihandelsbesessenheit der EU: eine Bedrohung für Landwirte und Ernährungssicherheit. Die EU hat mit 42 Freihandelsabkommen, die 74 Partnerländer abdecken, das größte Freihandelsregime der Welt. Diese Abkommen begünstigen in der Regel große Agrar- und Lebensmittelkonzerne auf Kosten von Kleinbauern. Dem Verhandlungsprozess für diese Abkommen mangelt es an Transparenz und demokratischer Kontrolle, wodurch die Interessen kleinerer Landwirte weiter marginalisiert werden. Die Handelspolitik der EU untergräbt die langfristige Ernährungssicherheit der EU, indem sie die Einfuhren von landwirtschaftlichen Grunderzeugnissen aus Drittländern als Druckmittel zur Förderung des Exports von industriellen Agrar- und Lebensmittelerzeugnissen aus der EU einsetzt, indem sie die einheimischen Erzeuger einem unlauteren Wettbewerb aussetzt und die Importabhängigkeit der EU erhöht.

Freihandel: ein Lehrbuchfall von Klima-Heuchelei. Der Bericht hebt auch die Scheinheiligkeit der EU-Klimapolitik hervor. Einerseits erlegt die EU den europäischen Erzeugern strenge Vorschriften zur Verringerung der Treibhausgasemissionen auf, wodurch die Landwirte aus dem Markt gedrängt und die heimische Produktion verringert werden könnte. Andererseits fördert sie den internationalen Handel durch Freihandelsabkommen, die nur zu einem Anstieg der Emissionen und einer Zunahme der Agrarimporte aus Ländern mit niedrigeren Umweltstandards führen werden.

Fazi kommt im Bericht zum Schluss, dass die derzeitige Handels- und Landwirtschaftspolitik der EU fehlerhaft und unhaltbar ist. Die anhaltende Konsolidierung der landwirtschaftlichen Produktion begünstigt große Konzerne auf Kosten von Kleinbauern und ländlichen Gemeinden. Um die langfristige Ernährungssicherheit in Europa zu gewährleisten und die europäischen Landwirte zu unterstützen, muss die EU zu ihrer ursprünglichen Ausrichtung auf die Ernährungssouveränität zurückkehren. Das bedeutet, schädliche Freihandelsabkommen abzulehnen, die Abhängigkeit von Importen zu verringern, der Nahrungsmittelproduktion Vorrang vor unrealistischen Umweltzielen einzuräumen und eine Politik umzusetzen, die die heimische Agrarproduktion fördert. Wir sollten den europäischen Landwirten zur Seite stehen und sie unterstützen, anstatt sie als Problem zu behandeln, das beseitigt oder ersetzt werden muss.

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Quellen & Links

Hier findet man die gesamte Untersuchung.
https://brussels.mcc.hu/uploads/default/0001/01/0b2f9ea4ecd00d2499ff38666681bb28814494f5.pdf?utm_source=substack&utm_medium=email

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Bild „Protesting the EU policy“ by Gwenaël Piaser is licensed under CC BY-NC-SA 2.0.
https://creativecommons.org/licenses/by-nc-sa/2.0/?ref=openverse

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https://tkp.at/2024/06/06/das-eu-agrarregime-und-europas-ernaehrungssouveraenitaet/
Author Public Key
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